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Auf dem Mauerweg durch Berlin

Deutsche Geschichte mit dem Fahrrad entdecken: Der Mauerweg bringt Gegenwart und Vergangenheit zusammen.

Matthias Vogel, 02.08.2022
 Mit dem Fahrrad kommt man nah ran an die Mauerreste.
Mit dem Fahrrad kommt man nah ran an die Mauerreste. © AdobeStock

In der Zimmerstraße in Berlin-Mitte ist es ruhig. Das passt gut. Eine Info-Stele zeugt vom traurigen Ende einer Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik: Der 18-jährige Peter Fechter wurde hier am 17. August 1962 von Grenzposten der DDR angeschossen und verblutete auf dem Todesstreifen. Viel Zeit zum Grübeln auf dem Fahrrad bleibt nicht, denn nur ein paar Pedalumdrehungen später geht es zu wie im Taubenschlag. Touristinnen und Touristen aus aller Welt stehen gut gelaunt Schlange für ein Selfie vor dem Wachhäuschen-Remake des früheren Grenzübergangs Checkpoint Charlie.

Zwei Gegensätze, die gut zur Geschichte der Berliner Mauer passen. 28 Jahre lang trennte sie die deutsche Bevölkerung in Ost und West, verankerte die politische Spaltung des Landes und Europas, riss Familien auseinander, teilte Berlin. Der Mauerradweg dient der Erinnerung daran. Auf 14 Etappen mit insgesamt 160 Kilometern Länge führt er Interessierte an allen wichtigen Stationen des ehemals geteilten Deutschlands vorbei – mitten durch Berlin hindurch, vorbei an weiteren früheren  Grenzübergängen und der Gedenkstätte Bernauer Straße, dem zentralen Gedenkort für die Toten an der Berliner Mauer. Dann geht es weiter südlich der Hauptstadt über Schönefeld und Lichterfelde an den Wannsee im Südwesten und bis Hermsdorf im Norden.

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Die Pflichtetappe ist sicherlich von der Station Warschauer Straße der U-Bahn-Linie U1 in Richtung Potsdamer Platz. Entspannt lässt es sich die Brücke hinab ans Spreeufer rollen und dann geht es auch schon los mit dem Tauchgang im Wechselbad der Gefühle. Der Weg führt entlang der East Side Gallery, gleichermaßen eindrucksvolles Dokument der Grenzsituation und längster erhaltener Mauerrest, aber eben auch Künstlerleinwand und Touristenattraktion. Liebespaare posieren vor den Bildern und Graffiti, dahinter werden Souvenirs angeboten.

Über die Schillingbrücke, die einzige Steigung der Route, gelangt man in die Luisenstadt. Nach den Plänen des berühmten Gartendirektors Erwin Barth wurde entlang der ehemaligen Grenze bis zum Engelbecken hin eine parkähnliche Grünanlage errichtet. Sich angesichts der Idylle und der Menschen, die hier heute flanieren, auf den Bänken sitzen oder beim Boccia entspannen, dramatische und tödliche Fluchtversuche vorzustellen, löst Beklemmung aus.

Pause? Ginge an dieser Stelle gut, direkt am Wasser des Engelbeckens befindet sich ein Café. Weiter geht es vorbei am Gebäude des Axel-Springer-Verlags entlang der Mauermarkierung – im Innenstadtbereich ist sie durch eine doppelte Reihe Pflastersteine gekennzeichnet – durch die Zimmerstraße zum Gedenkort Peter Fechter. Vorbei am Ausländergrenzübergang Checkpoint Charlie und dem Mauermuseum, für dessen Besuch zwei Stunden extra Zeit empfohlen werden, taucht die „Topografie des Terrors“ auf. Dort war von 1933 bis 1945 die Zentrale des nationalsozialistischen Terrors verortet. Direkt daneben wurde später die Mauer hochgezogen, ein 200 Meter langes Stück Vorderlandmauer steht hier bis heute und vermittelt den Betrachtenden noch einmal die Wucht der ehemaligen Grenze. Zum Ende der sieben Kilometer langen Teilstrecke ist ein wenig Spürsinn gefragt: Am Potsdamer Platz, verborgen zwischen Neubauten, ist ein alter DDR-Wachturm übriggeblieben.

Schnell von Ort zu Ort, aber langsam genug, um alles mitzukriegen.
Michael Cramer, Lokalpolitiker in Berlin

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Die Gelegenheit, die Geschichte der Teilung Deutschlands mit dem Fahrrad zu erkunden, lag nach dem Fall der Mauer 1989 in weiter Ferne. Politisch und medial herrschte die Meinung vor, nichts dürfe an sie erinnern, es sollte im wahrsten Sinne des Wortes Gras darüber wachsen. Die Politik orientierte sich an den 50 Jahre alten Plänen einer „autogerechten Stadt“ und wollte die Autobahn A100 ausbauen – dort, wo sich heute die Gedenkstätte Bernauer Straße befindet. „Als ließe sich Geschichte einfach ausradieren“, sagt der Berliner Grünen-Politiker Michael Cramer. „Bundeskanzler Helmut Kohl hat das damals zum Glück verhindert.“

Cramer war es, der 2001 zum 40. Jahrestag des Mauerbaus einen Antrag auf einen Radweg entlang der ehemaligen Grenze stellte. Es folgte der Beschluss des Abgeordnetenhauses. „Von da an ging es los mit der Ausschilderung und dem fahrradfreundlichen Ausbau des Weges“, erinnert er sich. Als vordringliche Intention des Projektes nennt er die Erinnerung an die Geschichte. „Der Weg hat sich aber dann recht schnell zu einem touristischen Highlight entwickelt.“

Für den Mauerradweg durch die Stadt und einmal um das frühere West-Berlin herum nutzten die Planer den Zollweg der Alliierten auf der einen sowie den „Kolonnenweg“ der DDR-Grenzposten auf der anderen Seite der ehemaligen Grenze. 15 Kilometer des Weges mussten neu angelegt oder instandgesetzt werden. Start und Ziel der fünf bis 20 Kilometer langen Teilstrecken befinden sich stets in der Nähe von Stationen des öffentlichen Nahverkehrs, lassen sich also bequem erreichen. Übersichtspläne und Ausschilderung helfen bei der Orientierung. An den Stationen der Geschichtsmeile Berliner Mauer sowie an den Infostelen gibt es mehrsprachige Informationen über die Teilung Deutschlands. In der Innenstadt unterstützt ein „Orientierungssystem Berliner Mauer“ mit Karten und Hörstationen die Entdeckung von Mauerresten. Besondere Ereignisse werden mit Fotos und Texten erläutert.

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Der Hartnäckigkeit von Michael Cramer ist es übrigens auch zu verdanken, dass gerade die allerletzte Lücke im Mauerradweg mit einer neuen Unterführung geschlossen wird. Bis zur Fertigstellung 2024 muss an dieser Stelle ein zwei Kilometer langer Umweg genommen werden. Warum ihn der Mauerradweg nicht loslässt? Cramer: „Die Geschichtsvermittlung per Fahrrad halte ich für optimal. Man kommt schnell von Ort zu Ort, ist aber langsam genug, um alles mitzukriegen.“

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