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Für die Bürger beider Länder

Vom Élysée-Vertrag zum Aachener Vertrag: Sabine Thillaye erklärt, warum die deutsch-französische Freundschaft neue Impulse braucht.

21.01.2019
Der Aachener Vertrag vertieft die deutsch-französische Freundschaft.
Der Aachener Vertrag vertieft die deutsch-französische Freundschaft. © mariesacha/stock.adobe.com

Mit dem Élysée-Vertrag setzten Frankreich und Deutschland 1963 ein Zeichen für Freundschaft und Zusammenarbeit. 56 Jahre später gibt es nun einen Nachfolger: den Vertrag von Aachen. Sabine Thillaye leitet die zugehörige Arbeitsgruppe auf französischer Seite. Ihre eigene Biografie ist eine deutsch-französische Erfolgsgeschichte: Die gebürtige Deutsche gestaltet die Politik in der französischen Nationalversammlung mit und ist Vorsitzende im Europa-Ausschuss.

Frau Thillaye, welche Erwartungen verknüpfen Sie mit dem Aachener Vertrag?
Wir hoffen, in Aachen einen neuen Rhythmus für unsere Zusammenarbeit zu finden. In den vergangenen Jahren ist in der Öffentlichkeit, teilweise auch in der Politik, der Eindruck entstanden, die 1963 mit dem Élysée-Vertrag begründete deutsch-französische Zusammenarbeit habe sich festgefahren. Mit Blick auf die turbulenten Ereignisse der letzten Wochen ist mir besonders wichtig, deutlich zu machen, dass es sich zwar um einen Staatsvertrag handelt, sein Kern aber allen Bürgern beider Länder zugutekommen soll. Diesen Anspruch unterstreicht der Platz, den der Aachener Vertrag der regionalen Zusammenarbeit einräumt.

Digitalisierung ist ein neues Thema. Was soll der Vertrag von Aachen hier leisten?
Der neue Élysée-Vertrag zielt darauf, gemeinsam unsere Ausgangsposition bei der Digitalisierung zu stärken. Statt auf die vielzitierten Disruptionen nur zu reagieren, wollen wir dafür sorgen, dass in Zukunft wichtige Impulse öfter aus Frankreich, Deutschland und der Europäischen Union kommen. Der Aachener Vertrag soll die Zusammenarbeit in der Forschung stärken, insbesondere beim Thema Künstliche Intelligenz. Über die Forschung hinaus wünschen wir uns auf lange Sicht das Entstehen europäischer Champions, großer Unternehmen mit dem Potenzial, amerikanischen und chinesischen Tech-Giganten die Stirn zu bieten.

Sabine Thillaye
Sabine Thillaye © OT

Deutschlands Außenminister Heiko Maas legt besonderen Wert auf das Thema Bildung. Wie sollen die Kräfte dort noch stärker gebündelt werden?
Das Erlernen der Sprache des Partnerlandes zu fördern, muss wieder Priorität haben. Die Förderung des Deutschunterrichts in Frankreich wurde in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Das soll sich nach der Unterschrift in Aachen ändern. Darüber hinaus soll die Angleichung von Abschlüssen und Zertifikaten den grenzüberschreitenden Austausch weiter erleichtern.

Welcher Punkt des Aachener Vertrags liegt Ihnen besonders am Herzen?
Für mich ist das Bekenntnis zum europäischen Einigungsprozess vielleicht der wichtigste Punkt der Vereinbarung. Mit Blick auf die Europawahl im Mai wünsche ich mir, dass das deutsch-französische Verhältnis und dessen Stärkung im Zuge des neuen Elysée-Vertrags im Rest Europas weniger als ein Vorpreschen denn als ein Vorangehen wahrgenommen und akzeptiert wird.

Betrachten Sie sich selbst als gutes Beispiel für die deutsch-französische Freundschaft?
Meine Biografie spiegelt die historisch enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich wider. Das ist mir wichtig: Wenn ich heute als Abgeordnete der französischen Nationalversammlung und bei den Verhandlungen des neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrags in die Vertiefung der Partnerschaft beider Länder eingebunden bin, verdanke ich das der Arbeit, die die vorangehende Generation seit 1963 gemeinsam geleistet hat. Andersherum hoffe ich natürlich, dass Biografien wie die meine in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein werden.

Wir müssen zu einem gesunden ,Europragmatismus’ finden.
Sabine Thillaye

Wie hat sich die deutsch-französische Freundschaft seit 1963 verändert?
Die deutsch-französische Zusammenarbeit gründete 1963 auf dem Wunsch und der Notwendigkeit, zwei verfeindete Völker nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auszusöhnen. Dieses schwierige Erbe spielt natürlich immer noch eine wichtige Rolle, zuletzt im Rahmen der Erinnerung an das Ende des Ersten Weltkriegs im November 2018. Aber in den vergangenen Jahrzehnten haben wir uns ausgetauscht, einander kennengelernt, und wir haben gelernt, zusammenzuarbeiten. Ich glaube wir stehen mit der Unterschrift des neuen Vertrags heute an einem Punkt, an dem die deutsch-französischen Beziehungen erwachsen werden.

Sind nationalistische und EU-feindliche Parteien eine Gefahr für die Demokratie?
Natürlich beobachte ich die nationalistischen Tendenzen in den Mitgliedsstaaten von Osteuropa über die westeuropäischen Protestparteien bis zu den Brexiteers in Großbritannien und den Gelbwesten in Frankreich mit Sorge. Und natürlich müssen wir Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit verurteilen. Ich glaube aber, dass alle überzeugten Europäer gute Gründe haben, selbstbewusst in die anstehenden Europawahlen zu gehen.

Wichtig ist, dass wir aufhören, Europa in der nationalen Debatte abwechselnd in den Himmel zu loben und zu verdammen. Statt zwischen den Extremen, zwischen europhil und europhob zu pendeln, müssen wir zu einem gesunden „Europragmatismus“ finden. Wir müssen den Wählern wieder nahebringen, dass die europäische Einigung kein Ziel an sich ist, sondern ein Instrument, um gemeinsam Probleme zu lösen, die einzelne Staaten schlicht nicht mehr lösen können.

Interview: Philipp Hallfahrt

© www.deutschland.de

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