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„Das Projekt Europa erfahren“

Christian Tauch von der Hochschulrektorenkonferenz erklärt, warum das Programm Erasmus heute wichtiger denn je ist.

Carsten Hauptmeier, 09.06.2022
Christian Tauch von der Hochschulrektorenkonferenz
Christian Tauch von der Hochschulrektorenkonferenz © HRK

Seit 35 Jahren ermöglicht das Austauschprogramm Erasmus jungen Menschen, im Ausland zu studieren. Wie die Hochschulen in Deutschland und Europa von dem Programm profitieren und warum es gerade jetzt so wichtig ist, erklärt der Leiter des Arbeitsbereichs Bildung bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Christian Tauch.

Herr Tauch, das Erasmus-Programm feiert in diesem Jahr seinen 35. Jahrestag. Wie sehr hat das Programm die deutsche und europäische Hochschullandschaft beeinflusst oder auch verändert?
Die meisten grundlegenden Veränderungen in Deutschland und Europa im Bereich Hochschullehre wurden durch den Bologna-Prozess initiiert oder zumindest unterstützt – von der Einführung der gestuften Studienstruktur über europaweite Standards für Qualitätssicherung bis hin zu verbesserten Verfahren zur akademischen Anerkennung. All das wäre ohne das Erasmus-Programm kaum möglich gewesen. Zwar startete es mehr als ein Jahrzehnt vor dem Bologna-Prozess, aber es bildete die Grundlage und schuf die Voraussetzungen für die europäische Hochschulreform. Erst Erasmus führte zu der Steigerung der Mobilität von Studierenden und Lehrenden, aus der sich die Idee eines Europäischen Hochschulraums entwickeln konnte. 

Das Erasmus-Programm gilt als Best-Practice-Beispiel für Verständigung in Europa. Welchen Beitrag kann es gerade heute für den Zusammenhalt leisten?
Kurz nach dem Beginn des Erasmus-Programms fiel der Eiserne Vorhang in Europa und damit waren die Voraussetzungen für den friedlichen Austausch zwischen Hochschulen von Tallin bis Lissabon und von Glasgow bis Bukarest geschaffen, der sich in den Folgejahren entwickelte. Verständigung zwischen den europäischen Völkern wurde zwar begrüßt, aber zugleich als selbstverständliches und irreversibles Ergebnis historischer Entwicklungen betrachtet. In den zurückliegenden Jahren trübte sich dieses optimistische Bild unter dem Eindruck von Brexit sowie dem Erstarken nationalistischer Strömungen und dem Infragestellen akademischer Freiheit in manchen europäischen Ländern ein, und seit Februar 2022 herrscht sogar wieder Krieg in Europa. Angesichts dieser Entwicklungen ist es wichtiger denn je, dass junge Europäerinnen und Europäer dank Erasmus die Gelegenheit erhalten, das Projekt Europa konkret zu erfahren.

Hilft es den deutschen Hochschulen auch dabei, sich noch internationaler aufzustellen und die Verbindung zu Universitäten in anderen europäischen Staaten zu vertiefen?
Auf jeden Fall. Deutschland gehörte von Anfang an zu den engagiertesten Teilnehmerländern am Erasmus-Programm, sowohl bei der Entsendung als auch bei der Aufnahme von Studierenden. Erasmus hat beispielsweise die Hochschulen in den damals neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung sehr dabei unterstützt, europäische Netzwerke aufzubauen. Und auch an der neuen Initiative „Europäische Hochschulnetzwerke“ sind deutsche Hochschulen stark beteiligt: 35 Hochschulen gehören 32 der 41 bestehenden Allianzen an – die höchste Beteiligungsrate unter allen europäischen Ländern.

Ein Blick in die Zukunft: Wie sollte Erasmus zum 50. Jahrestag aussehen?
Unter dem Eindruck des Klimawandels wird schon seit Jahren darüber diskutiert, wie die Mobilität erhalten und zugleich die Belastungen für die Umwelt reduziert werden können. Die Corona-Pandemie hat uns dazu gezwungen, in kürzester Zeit die Möglichkeiten für digitales Lehren und Lernen massiv auszubauen, und diese Erfahrungen werden wir nun auch in die Weiterentwicklung des Erasmus-Programms einbringen können. Das Anliegen des Programms, das europäische Projekt zu stützen, wird in den kommenden Jahren drängender denn je sein, aber wir werden sehr viel stärker virtuelle und digitale Formen der Zusammenarbeit und Mobilität nutzen.

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