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Ein muslimischer Alltag in Deutschland

Muslime bilden die zweitgrößte religiöse Bevölkerungsgruppe Deutschlands. Feyza Bayraktar und Erdin Kadunić berichten, wie sie ihren Glauben ausleben.

Luca Rehse-KnaufLuca Rehse-Knauf, 28.03.2024
Feyza Bayraktar in der türkischen Metzgerei Tuna
Feyza Bayraktar in der türkischen Metzgerei Tuna © Deniss Kacz

Dank den Vegetariern uns Veganern, sagt Feyza Bayraktar lächelnd, sie könne mittlerweile beruhigt einkaufen gehen. „Wenn da ein Vegan-Zeichen drauf ist, dann weiß ich, da ist wirklich nichts Tierisches dabei.“ Wenn dann außerdem kein Alkohol enthalten ist, qualifiziert sich das Produkt höchstwahrscheinlich als „halal“, also den muslimischen Speisevorschriften nach erlaubt. Feyza ist praktizierende Muslima. Sie hat türkische Wurzeln, ist in Mannheim geboren und lebt in der Nähe von Köln. Beim Einkauf in der türkischen Metzgerei Tuna im Kölner In-Viertel Ehrenfeld, erzählt sie von ihrem muslimisch geprägten Alltag in Deutschland.

Der Einkauf

Der Einkauf ist für Feyza Routine. „Im Grunde kaufen wir im gewöhnlichen Supermarkt ganz normal ein. Nur das Fleisch holen wir von einem Metzger, von dem wir wissen, dass es dort halal zubereitet wurde.“ Laut Schätzungen gibt es über 10.000 türkische und arabische Supermärkte in Deutschland, die Halal-Produkte anbieten. Aber auch traditionsreiche deutsche Supermarktketten stellen sich auf die Nachfrage nach islamkonformen Lebensmitteln ein und diversifizieren ihr Sortiment – von Sucuk-Wurst über Börek-Gebäck bis hin zu eigenen Abteilungen mit Dattelkeksen und Trockenfrüchten zur Ramadan-Zeit. Zum Metzger Tuna, zu dem auch ein Restaurant gehört, sind schon Feyzas Eltern gegangen, weshalb sie am liebsten hierherkommt. Feyza bestellt Fleisch und Würstchen, die Gespräche an der Theke wechseln zwischen Türkisch, Deutsch und einer Mischung aus beidem.

Auch Erdin Kadunić hat es mit mehreren Sprachen zu tun, um genau zu sein mit Deutsch, Serbisch, Kroatisch und Bosnisch. Der Politikwissenschaftler ist in Berlin aufgewachsen und hat neun Jahre in Bosnien und Herzegowina gelebt. Heute arbeitet er als Dolmetscher und Übersetzer für Balkansprachen in Düsseldorf. Er war Vorstandsvorsitzender der bosnischen Moscheegemeinde in Düsseldorf, eine der rund 80 bosniakischen Moscheegemeinden in Deutschland, und praktiziert seinen muslimischen Glauben. Der 49-Jährige erinnert daran, dass es für Muslime nicht immer so einfach war wie heute, einkaufen oder essen zu gehen. „Heute ist halal kein Fremdwort mehr. Das ist ein dickes Plus.“ Wie Feyza kauft auch Erdin Fleisch meistens im türkischen Supermarkt, es gebe aber auch deutsche Metzgereien die Halal-Produkte anbieten. Das meiste kauft er beim nächstliegenden Discounter. Wer dabei auf der sicheren Seite sein will, kann die App „halalcheck“ konsultieren. Ein Team aus Bonn listet dort auf, welche Produkte und Inhaltstoffe wie Emulgatoren und Aromen als halal gelten.

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Moscheen und Gebetsräume 

Auch zum Beten gibt es eine App, die an die Zeiten der fünf täglichen Gebete erinnert. Glaube und Arbeit zu vereinbaren erfordert dabei manchmal ein wenig Organisation. „Wenn ich es schaffe zu Hause zu beten, bete ich zu Hause und komme dann zum Dienst. Aber an Tagen, an denen ich es nicht schaffe, suche ich mir im Büro eine Ecke.“ Feyza kann Arbeit und Beten problemlos vereinbaren. Ihr Chef ist selbst muslimisch und weiß daher Bescheid. „Auch in meiner Arbeitsstelle davor hatte ich nie Probleme damit. Da habe ich in einer katholischen Einrichtung gearbeitet und sie haben mir in der Mittagspause eine Räumlichkeit zum Beten zur Verfügung gestellt. Ich persönlich hatte da nie Probleme.“ Auch für Erdin sind die täglichen Gebete kein Problem, er hat ein eigenes Büro und kann sich seine Zeit frei einteilen. Das tägliche Beten sei aber nicht für alle so einfach, betonen Feyza und Erdin. Bei manchen fehle noch das Verständnis von Arbeitskollegen oder der Führungskraft. „Viele Muslime holen die Gebete dann zu Hause nach, weil es auf der Arbeit nicht möglich war oder wenn sie nicht danach fragen wollten“, erzählt Erdin. 

Erdin Kadunić ist Übersetzer und lebt in Düsseldorf
Erdin Kadunić ist Übersetzer und lebt in Düsseldorf © Erdin Kadunić

In Deutschland leben ungefähr 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Das entspricht einem Anteil von 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Nach Angehörigen christlicher Kirchen bilden Musliminnen und Muslime damit die zweitgrößte religiöse Bevölkerungsgruppe Deutschlands. Nach Umfragen der Deutschen Islamkonferenz halten sich 70 Prozent der Muslimminnen und Muslime an islamische Regeln wie die Getränke- und Speisevorschriften und an die 40 Prozent verrichten die täglichen Gebete. Dafür gibt es Schätzungen zufolge etwa 2.700 Moscheen in Deutschland. Hinzu kommen zahlreiche Gebetsräume an Flughäfen, Bahnhöfen oder in Bürogebäuden. „Aber auch wenn gerade mal kein Gebetsraum in der Nähe ist, finden wir schnell Lösungen“, sagt Feyza lachend. Ein kleiner ruhiger Fleck reiche oft auch aus. Ein weiterer Bestandteil des muslimischen Glaubens sind die Pilgerfahrten nach Mekka. Hierfür gibt es mittlerweile auch in Deutschland Reisebüros, die organisierte Fahrten anbieten. „Da gibt es viele Anbieter, die Hotels und Verpflegung buchen, von ganz einfachen Zimmern bis zu gehobenen Hotels mit gutem Essen und Blick auf die Kaaba“, so Erdin.

„Die meiste Zeit kann man als Muslime in Deutschland gut leben. Wir haben unsere Gebetsräume, Einkaufen ist kein Problem. Der einzige Problemfaktor ist, wenn jemand den Glauben des anderen nicht respektiert“, sagt Feyza. Das komme vor. Auch Erdin sieht das so: „Nicht alle Arbeitskolleginnen und -kollegen haben immer Verständnis – etwa für die Gebetszeiten.“ Andererseits gibt es auch Zeichen für mehr Offenheit. Frankfurts Innenstadt wurde in diesem Jahr erstmals zum Ramadan festlich beleuchtet  , mit Halbmonden und „Happy Ramadan“-Schriftzügen. „In einigen Jahren wird da keiner mehr drüber reden, das wird ganz normal sein“, sagt Erdin. „Das fühlt sich gut an“, sagt Feyza. Rassismus kommt in der deutschen Gesellschaft leider ebenso vor wie in anderen Ländern. Trotzdem würden, sagt Feyza, auch die Stimmen immer lauter, die sich deutlich dagegen aussprechen. 

Fastenbrechen

Feyza arbeitet in der Textilbranche. Nach Feierabend engagiert sie sich ehrenamtlich für Obdachlose. Mehrmals in der Woche fährt sie mit dem Kältebus durch die Innenstadt und verteilt Essen, Kleidung, Hygiene-Artikel oder auch einfach Ratschläge. Als sie am Ausschankort am Kölner Bahnhof ankommt, warten die Menschen schon und umarmen sie zur Begrüßung. Es ist Ramadan und Feyza fastet. Dass sie den ganzen Tag nichts getrunken und gegessen hat, merkt man ihr nicht an. Voller Energie und Anteilnahme springt sie von Gespräch zu Gespräch. Dann kommt eine App-Benachrichtigung. Es ist 19 Uhr. Fastenbrechen. Feyza öffnet einen Smoothie, das reiche ihr erstmal. Später werde sie dann richtig essen, nachdem die Wartenden gegessen haben. Am liebsten isst sie dann vegetarisch.