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„Eine Gefahr für Demokratien“

Welche Rolle spielen Verschwörungstheorien in Konflikten? Ein Gespräch mit dem Experten Michael Butter.

Interview: Kim Berg, 17.06.2022
Verschwörungstheorien unterteilen die Welt in Gut und Böse.
Verschwörungstheorien unterteilen die Welt in Gut und Böse. © picture alliance / CHROMORANGE

Den Zugang zu verlässlichen Informationen sichern und die Freiheit der Medien fördern – auch das gehört zu den politischen Schwerpunkten der deutschen G7-Präsidentschaft. Bürgerinnen und Bürger sollen dabei unterstützt werden, Desinformationen und Verschwörungstheorien zu erkennen und diesen aktiv entgegenzutreten. Michael Butter, Professor für Amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen, befasst sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien. Er erklärt, wie sie entstehen und warum sie zu einer Gefahr für Demokratien werden können.

Herr Professor Butter, wieso glauben Menschen an Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien bieten Erklärungen, sie machen die Welt bedeutsamer. Alles, was passiert, kann damit auf planvolles, menschliches Verhalten zurückgeführt werden. Nichts geschieht durch Zufall. Das ist im Grunde das entscheidende Kriterium der verschwörungstheoretischen Weltsicht.

Welche Menschen sind besonders anfällig für eine solche Weltsicht?
Das sind zum einen Menschen, die nach Eindeutigkeit streben. Verschwörungstheorien unterteilen die Welt in Gut und Böse. Es gibt nichts dazwischen. Zum anderen sind Menschen anfällig, die das Gefühl haben, einen Machtverlust zu erleiden. Sie glauben, dass ihnen, ihrer Gruppe oder sogar ihrer ganzen Nation die Kontrolle entgleitet. Für diese Gruppe sind Verschwörungstheorien attraktiv, weil sie ihnen nicht nur eine Erklärung für das bieten, was da gerade passiert, sondern auch ein Stück weit Kontrolle zurückgeben. Denn diese Menschen können für sich zumindest in Anspruch nehmen, dass sie verstehen, was da gerade passiert.

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Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien?
Nicht alle Verschwörungstheorien sind gefährlich. Aber es gibt drei Dimensionen, durch die sie gefährlich werden können. Zum einen können sie ein Katalysator für Radikalisierung sein und so zu Gewaltausübungen führen. Menschen, die denken, dass sie einem Komplott auf die Schliche gekommen sind, können sich verpflichtet fühlen, die Waffe in die Hand zu nehmen und gegen diesen Komplott vorzugehen. Das haben wir in Halle, Christchurch und auf Utøya gesehen. Dann werden Menschen verletzt, dann sterben Menschen.

Zweitens sind medizinische Verschwörungstheorien gefährlich. Denn wenn etabliertes medizinisches Wissen geleugnet wird, dann gefährdet man sich selbst und andere. Das sehen wir aktuell in der Corona-Pandemie.

Und drittens können Verschwörungstheorien durchaus eine Gefahr für Demokratien werden, wenn sie das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen erschüttern. Schlimmstenfalls lassen sich Menschen dazu aufstacheln, gegen demokratische Institutionen aktiv vorzugehen. Das haben wir am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol in Washington gesehen.

Nutzen Länder Verschwörungserzählungen, um andere Staaten zu destabilisieren?
Ja. In den vergangenen Jahren haben sich vor allem Desinformationen und Fake News des Kreml rund um die Flüchtlingsbewegung ab 2015 und einen angeblichen Zerfall Deutschlands verbreitet. Dazu kam die russische Propagandakampagne gegen die Ukraine ab 2014. Der angebliche Putsch nationalsozialistischer Gruppen in der Ukraine, orchestriert von den USA und der NATO. Im Ukrainekrieg sieht es fast so aus, als hätte selbst die innerste Riege um Putin diese Verschwörungstheorien geglaubt und ernsthaft gedacht, man würde sie in der Ukraine mit offenen Armen empfangen. Dem war natürlich nicht so.

Seit über 15 Jahren erforscht Michael Butter Verschwörungstheorien.
Seit über 15 Jahren erforscht Michael Butter Verschwörungstheorien. © Berthold Steinhilber

Wieso streut die russische Politik Fake News und Mythen in anderen Ländern?
Dadurch versucht der Kreml, die Gesellschaft zu spalten, Verwirrung zu stiften und Konflikte hervorzubringen. Sie sollen dazu führen, dass Positionen, die sich gegen russische Interessen richteten, nicht populär in der Öffentlichkeit vertreten werden.

Wie kann man Anhänger von Verschwörungstheorien von der Realität überzeugen?
Indem man das Gespräch sucht und ehrliche Fragen stellt. Wieso siehst du das anders als ich? Wieso ist das für dich ein Experte und ein anderer nicht? Das kann einen Prozess der Selbstreflexion auslösen, muss es aber nicht. In jedem Fall ist es ein langer und anstrengender Prozess.

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