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Olympionikin Yusra Mardini: die Mutmacherin

Die syrische Schwimmerin Yusra Mardini ist bei den Olympischen Spielen in Tokio im Vorlauf chancenlos. Wichtiger als das Ergebnis ist die Botschaft, die die Fahnenträgerin des Flüchtlingsteams in die Welt sendet.

29.07.2021
Olympionikin Yusra Mardini: die Mutmacherin
© dpa

Fünf Jahre hat sie hart für diesen Moment trainiert. Dann ist er nach einer Minute, sechs Sekunden und 78 Hundertstel schon wieder vorbei. Es ist die schlechteste Zeit aller Starterinnen über die 100 Meter Schmetterling. 

Sportlich chancenlos

Es ist nur ein kurzer, von außen betrachtet, emotionsloser Moment für Yusra Mardini. Zwar ist die Pressetribüne gut gefüllt, auf den gegenüberliegenden Zuschauerrängen sitzen jedoch nur einige Betreuer und Trainer verschiedener Nationen. Nur eine kleiner Block - offensichtlich Personen aus dem US-Team - sorgt mit Pfiffen und Klatschstangen für ein wenig Stimmung.

Für die in Syrien geborene Mardini, die seit ihrer Flucht 2015 in Deutschland lebt und zum zweiten Mal nach 2016 für das internationale Flüchtlingsteam startet, ist es jedoch sehr wohl ein besonderer Moment. "Für mich ist Tokio noch emotionaler als Rio de Janeiro", hatte sie bereits bei ihrer Nominierung gesagt. 

In ihrer Paradedisziplin schwimmt Mardini den besten Schwimmerinnen der Welt noch immer um mehr als zehn Sekunden hinterher. Als Teilnehmende des Refugee Olympic Team (ROC) musste sie jedoch nicht die Olympianormen erfüllen. Das Internationale Olympische Komitee nominierte die Mannschaft, die in Tokio aus insgesamt 29 Athletinnen und Athleten besteht - sieben von ihnen leben derzeit in Deutschland.

Mardini ist die prominenteste von ihnen. Bei ihrem ersten olympischen Auftritt vor fünf Jahren in Brasilien machte sie als Teenagerin mit ihrer bewegenden Flüchtlingsgeschichte weltweit Schlagzeilen: eine Odyssee durch acht Länder, alleine mit ihrer Schwester, bei der die beiden unter anderem ein überfülltes, und dann kaputtes Schlauchboot dreieinhalb Stunden schwimmend bis kurz vor Lesbos hinter sich herziehen.

Papstbesuch, UN-Botschafterin, Netflix-Doku

Mittlerweile ist sie Botschafterin für das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), der Papst hat sie empfangen, über 140.000 Menschen folgen ihr auf Instagram. Sie hat ein Buch über sich veröffentlicht und derzeit wird ein Film über sie gedreht, der nächstes Jahr bei Netflix zu sehen sein wird. Laut dem US-Magazin "People" gehört sie aktuell zu den "25 Frauen, die die Welt verändern".

Für Mardini wie auch das gesamte ROC-Team geht es bei ihren Teilnahmen an den Olympischen Spielen nicht allein um Zeiten, Höhen, Weiten, Punkte, Tore oder Körbe. Es geht darum, trotz oft dramatischer und traumatischer Fluchten aus dem Heimatland weiter an Träume zu glauben, sie zu verfolgen - und anderen damit Mut zu machen.

"Ich habe diese Geschichte eine Million Mal erzählt", sagt die 23-Jährige. "Und wenn es sein muss, erzähle ich sie noch eine Million Mal. Es geht mir darum, mit meiner Lebensgeschichte Hoffnung zu geben. Auch wenn ich am liebsten nur schwimmen würde, ich möchte und muss diese Geschichte immer wieder erzählen, vielleicht kann ich helfen, den Menschen Mut zu machen."

Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier

Mardini hat bereits mit ihren beiden Olympia-Teilnahmen zwei ihrer großen Träume wahr werden lassen. Und noch einen weiteren hat sie sich nun bei der Eröffnungsfeier erfüllt: Zusammen mit dem Leichtathleten Tachlowini Gabriyesos aus Eritrea trug sie beim Einmarsch  an der Spitze des Flüchtlingsteams die olympische Fahne. "Ich finde keine Worte dafür, was ich beim Tragen und Repräsentieren der olympischen Flüchtlingsfahne gefühlt habe", schrieb Mardini später auf Instagram.

Ihr kurzer Einsatz im Vorlauf über die 100 Meter Schmetterling war vermutlich ihr letzter Auftritt als Athletin bei Olympischen Spielen. Träumen wird Mardini jedoch weiter. Ihre nächsten Ziele sind bereits klar definiert: "einen deutschen Pass bekommen, studieren und dann eine Schwimmschule eröffnen".