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„Die Krise zeigt uns neue Wege“

Wie viel Potenzial für Neues steckt in der Corona-Krise? Innovationsforscherin Marion Weissenberger-Eibl gibt Antworten.

Christina Iglhaut, 09.04.2020
Marion Weissenberger-Eibl
Marion Weissenberger-Eibl © Mike Abmaier

Innovation entsteht immer dann, wenn es einen Bedarf gibt und sie von Politik oder Gesellschaft angestoßen wird. Die deutsche Ingenieurin Professorin Marion Weissenberger-Eibl leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und ist sich sicher: Die Corona-Krise wird viele Innovationen in Deutschland und der Welt vorantreiben.

Frau Professorin Weissenberger-Eibl, wie und wie stark wird sich unsere Welt durch die Corona-Krise verändern?

Wir haben leider keine Glaskugel. Doch schon jetzt gefährdet die Corona-Krise – trotz aller Bemühungen – viele Existenzen, nicht alle werden die Krise gut überstehen. Jedoch ist meine Hoffnung, dass wir die Situation auch als Chance begreifen. Wir alle können uns beispielsweise dafür einsetzen, dass die vielen tollen Nachbarschaftsinitiativen dauerhaft bestehen bleiben. Vielleicht haben wir auch ein neues Bewusstsein für die Verletzlichkeit unserer Gesundheit und für die Anfälligkeit unserer Wirtschaft durch internationale Lieferketten entwickelt.

schreiender Börsenhändler

In welchen Bereichen können wir nach der Corona-Krise mit einem Innovationsschub rechnen?

Ein großes Potenzial sehe ich in sozialen Innovationen. In einigen Häusern „glühen“ zurzeit die Nähmaschinen, um beispielsweise soziale Einrichtungen mit Stoff-Mundschutzmasken zu versorgen. Privatpersonen und Forschungseinrichtungen stellen im 3D-Druck Face-Shields für Kliniken, Pflegekräfte und Sozialstationen her. Ich erkenne hier ein neues Bewusstsein für die Gemeinschaft. Die Krise zeigt uns allen neue Wege im Umgang miteinander auf. Diese Wege sollten wir weiterverfolgen. Aktuell fokussiert sich die Öffentlichkeit natürlich auf drängende medizinische und medizintechnische Fragestellungen. Gleichzeitig bleiben die globalen Herausforderungen unserer Zeit in Bereichen wie Energie, Mobilität, Klima, Ernährung und Digitalisierung bestehen. Innovative Lösungen sind daher in und nach der Krise in allen gesellschaftlichen Bereichen auf der ganzen Welt gefragt.

Manches Unternehmen wird in der Krise ganz neue Chancen für sich entdecken, die es zukünftig weiterspinnen kann.
Marion Weissenberger-Eibl, Innovationsforscherin

Gibt es auch in der Wirtschaft Potenzial für Innovationen?

Ja, auch in vielen Bereichen der Wirtschaft zeigt sich, wie wandlungsfähig die Akteure sind. Aufgrund der angespannten Situation haben sich beispielsweise Unternehmen ad hoc dafür entschieden, die Produktion von medizinischen Geräten und anderen notwendigen Produkten zu unterstützen. Zum einen leisten sie einen wichtigen Beitrag in der Corona-Krise, zum anderen können sie damit aber auch gegen die schwierige Lage im eigenen Unternehmen angehen. So mag manches Unternehmen in der Krise ganz neue Kompetenzen und Chancen für sich entdecken, die es zukünftig ausschöpfen und weiterspinnen kann. Unternehmen können ganz neue Wege einschlagen, wenn es ihnen gelingt, sich anders aufzustellen. Neue wirtschaftliche Möglichkeiten sehe ich zudem für Start-ups, die beispielsweise mit ihren oftmals digitalen Geschäftsmodellen große und kleine Lücken im Bereich der Digitalisierung füllen können.

Wir müssen darauf achten, dass wir auch jene ins digitale Zeitalter mitnehmen, die keinen Zugang zu schnellem Internet haben.
Marion Weissenberger-Eibl, Innovationsforscherin

Bedeutet die Krise einen Schub für die Digitalisierung?

Ja, die Krise treibt die Digitalisierung an. Viele sind ins kalte Wasser geworfen worden, doch sie beginnen nun zu schwimmen. Ein Großteil der Bevölkerung ist aktuell von digitalisierten Prozessen, Homeoffice, virtuellen Meetings und Events, digitalisiertem Lehren und Lernen umgeben. Doch freue ich mich schon sehr darauf, wenn wir uns wieder persönlich begegnen und Face-to-Face miteinander sprechen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir auch jene ins digitale Zeitalter mitnehmen, die wenig digitale Kompetenzen haben und auch jene, die keinen Zugang zu schnellem Internet haben.

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